Freitag, 03 März 2023

Für Frau Dr. Lisa-Maria Kellermayr

  

 

Einleitung

Lange habe ich überlegt, ob ich eine Tafel, also ein Denkmal für meine Kollegin, Frau Dr. Lisa-Maria Kellermayr an den Örtlichkeiten meiner Ordination setzen soll.
Im Grunde mag ich keine Denkmäler und Gedenksteine, denn zu oft sind sie nur ein Zeichen von schlechtem Gewissen, unterdrückter Wut oder nicht verwundener Trauer, für die man einen Abstellplatz sucht, sodass sie einem selbst nicht mehr belasten und man sie schneller vergessen kann.

Und oft sind sie verstaubende Mahnmäler, die uns erinnern und mahnen sollten, dass noch viel zu viele große Probleme der Menschheit ungelöst und unerlöst sind.
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob und was davon auf mich zutreffen würde. Aber ich möchte Ihnen ein bisschen etwas von meiner Kollegin erzählen, und wer weiß, vielleicht ist es doch vor allem die Menschlichkeit, die mich das machen lässt, also sich für Menschen einzusetzen, die es nicht (mehr) selber können, so wie ich es oft tagtäglich in meinem Beruf tue. Vielleicht ist es aber auch meine Medizin, um der Ungerechtigkeit dieser Welt ein kleines Stück entgegenzutreten.

Ich möchte hiermit einer Kollegin gedenken, die, wie viele vor ihr und wohl noch nach ihr, im Versuch die Welt besser zu machen, verstorben sind. Man könnte wohl Millionen weitere Gedenktafeln hinzufügen, zu all denen, die es schon von solchen Menschen gibt. Und das nicht nur für Menschen in weit entfernten Ländern oder vergangenen Zeiten, sondern auch immer noch für Menschen hier und jetzt bei uns. Ganz im Gegenteil ist es oft viel leichter sich mit solchen mutigen Menschen in weit entfernten Ländern oder aus vergangenen Zeiten zu solidarisieren als mit einem Menschen von nebenan. Doch nicht heute. Heute möchte ich eines Menschen gedenken, der mitten unter uns lebte und noch leben könnte.

Wer weiß, ob das die letzte Gedenktafel sein wird, die ich aufhängen werde. Nur womit könnte man eine Wand einer Ordination schöner schmücken als mit dem Geist eines Menschen, der voller Lebenslust, in Zeiten großer Not, den Menschen bedingungslos half?

 

Erinnern

Ich kannte meine Kollegin, die genauso wie ich Hausärztin war, nur flüchtig. An einem Abend im Herbst 2021 saßen wir einmal ein paar Stunden zusammen und plauderten in einem durch. Sie redete fast ununterbrochen und war kaum zu bremsen. Sie hatte auch viel zu erzählen und viele Pläne. Von einem schweren Schicksalsschlag, von dem sie sich zurückkämpfte, die neue, große, durchdachte Ordination und natürlich ihre Ideen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.
Damals lief es gut und sie war Feuer und Flamme ihren Beruf auszuüben.

Leider begannen bald die Anfeindungen und die Gleichgültigkeit anderer Menschen ihr berufliches und privates Leben zu bestimmen. Warum eigentlich? Sie trat unbeirrbar, auch öffentlich für die Pandemiebekämpfung ein, veröffentlichte mitunter auch zurecht kritische Videos und Botschaften und man konnte mit ihr über das Internet auch persönlich reden und sich medizinisch beraten lassen. Das missfiel vielen Menschen, nicht zuletzt als sie ein Video veröffentlichte, wo Corona-Maßnahmengegner ein Spital umringten, demonstrierten und fast schon belagerten. Die Bilder waren verstörend, doch wichtig zu sehen. Doch noch verstörender war aber der Umgang mit ihr, der Überbringerin der Bilder. Sie geriet zunehmend in die Schusslinie des Hasses von aufgehetzten und gewaltbereiten Menschen und in das Vakuum der Gleichgültigkeit von Polizei, Politik und Ärztekammer. Statt sich geschlossen hinter sie zu stellen, trieb man sie vor sich her, aus Gründen, über die geredet werden müsste. Aus Gründen, die wohl die Abgründe unserer Gesellschaft offenbaren würden. Doch Schweigen und Vergessen sind wie so oft die Antwort auf die schwierigsten Fragen und größten Fehler der Zeit.
Sie blieb unbeirrt und arbeitete weiter, fuhr in unzähligen Hausbesuchen von Patient zu Patient, als man sich vor dem Covid-Virus fürchtete und sie ging in ihrer Freizeit weiter an die Öffentlichkeit, um die offensichtlichen Missstände aufzuzeigen, für die sie von denen, die ihr helfen sollten, etwas zu verändern, oft nur ablehnende Worte bekam. Ich erinnere mich, wie wütend und ohnmächtig es mich machte, das mitzuverfolgen.

Als ein paar KollegInnen und ich ein Schreiben verfassten, das tausend österreichische Ärzte unterschrieben, dachte ich beim Schreiben auch an sie, weil es nicht sein kann, dass man gerade die Menschen, die sich selbstlos für andere Menschen und die Wissenschaft einsetzen, genau deswegen zu Feindbildern werden lässt. Man kann so etwas nicht einfach aussitzen und ich sorgte mich sehr, dass das alles noch weiter eskalieren würde.

Vor ein paar Tagen im März 2023 meinte der österreichische Gesundheitsminister im Fernsehen, dass er sich "bedingungslos vor die Wissenschaft stelle". Während der Krise der Pandemie, als es dringlich nötig gewesen wäre, hörte man solche Worte freilich von keinem Politiker.

Es liegt nun mal in der Natur der Dinge, dass man nie genau weiß, was alles dazu beitrug, was in einem Menschen vorging, der sich schließlich das Leben nahm. Man kann ihn nun nicht mehr fragen.
Doch es liegt nun an uns diese Fragen dennoch zu stellen, was dazu beitrug, dass meine Kollegin in einen solchen Zustand kam, der sie in den Tod trieb. Nur ihre Abschiedsbriefe bleiben.
Es war erschreckend in Zeiten sozialer Medien, fast in Echtzeit zu sehen, wir ihr zunehmend alles genommen wurde: ihre Sicherheit, ihr Rückhalt, ihre Arbeit, ihre Leidenschaft, ihre finanzielle Existenz und schließlich ihre Ehre. Dann nahm sie sich ihr Leben.
Viel wurde über den Hass im Netz geredet, doch der Hass im Netz ist auch nur Hass, den wir alle zulassen. Zu wenig wurde und wird aber über die Gleichgültigkeit geredet, die dem Hass erst die Kraft gab, so zerstörerisch zu sein.
Wieder wurde eine Frau wohl durch den Hass von in erster Linie Männern zunehmend verletzt. Wieder waren es dann vor allem Männern in den Institutionen des Staates, die einer betroffenen und hilfesuchenden Frau nicht nur nicht halfen, sondern sich fast schon der hetzenden Meute anschlossen:
Einer Frau nicht halfen, die nur helfen wollte.

Zu wenig wiederum fanden die vielen helfenden Stimmen und Hände, die sich langsam zu ihr ausstreckten und sie ermunterten, in unserer gesellschaftlichen Mitte Halt und Gehör. Zu laut war die einschüchternde Gewalt und die Stimmen der Hassenden und der vermeintlich Gleichgültigen. Doch die Gleichgültigen sind gar nie so gleichgültig, denn der Entzug der Unterstützung hilft nie zufällig nur den Hassenden und Verwirrten.
Darüber müsste man viel mehr reden, wie oft wir in diesem und nicht nur diesem Land Menschen alleine lassen, die Hilfe brauchen. Und wie sehr wir Angst davor haben, dass wir selber alleine gelassen werden, wenn wir uns öffentlich äußern und dem oft kalten Staat oder einer wütenden Meute entgegenstellen.
Wenn ich diese Monate bis zu ihrem Tod Revue passieren lasse, erinnere ich mich, wie gleichgültig man eigentlich mit ihr umging. Der Staat an sich, von den Medien zur Polizei taten oft nicht mal ihr Minimum. Man machte es zu ihrem persönlichen Problem, in das man sich nicht einmischen könne oder wolle, an dem sie selber schuld sei.
In dieser Gleichgültigkeit steckt oft eine verborgene eigene Meinung, die man dadurch ausspricht, dass man den Menschen ignoriert oder leicht attackiert. Es braucht oft nicht viel, jemanden schwer zu verletzen, der in einer verletzlichen Situation ist.
Die österreichische Geschichte lehrt uns eigentlich sehr eindrücklich, wie leicht es geht, Menschen an den Rand zu drängen, indem man Vorurteile bedient, die viele Menschen in sich tragen.
Meine Kollegin passte nicht in das Bild, das man zeichnen wollte, nämlich dass die Pandemie schon längst vorbei ist, sich die Menschen alle vernünftig verhalten, die Versorgung der Kranken gut laufe. So war es nun mal nicht und sie sprach laut darüber.

Für mich war sie ihrer Zeit voraus, indem sie sich etwas erwartete, dass doch selbstverständlich sein müsste: Die Würdigung und Anerkennung ihrer Arbeit, wie vielen Menschen, sie tagtäglich die Gesundheit oder gar das Leben rettete.
Die Würdigung und Anerkennung ihrer zahlreichen sozialen und medizinischen Taten, dass sie uns zeigte, wir verirrt und verwirrt viele Menschen sind. Stattdessen musste sie sich dafür rechtfertigen, dass sie nicht damit aufhörte, sich nicht zurücknahm, nicht verstecke, nicht kleinlaut wurde und sich nicht den oft böswilligen Stimmen unterordnete. Was für eine Frau! Was für ein Mensch! Doch leider sind selbst die einfachsten menschlichsten und vernünftigsten Dinge immer noch alles andere als selbstverständlich in unserer Welt.
Wenn ich diese Zeilen schreibe, bin ich selbst den Tränen nahe, denn es ist das Schlimmste passiert, was passieren kann, ein Mord, ein Mord gegen sich selbst, als wäre man selber falsch, in die Enge getrieben, weil sich alles Negative im Inneren verdichtet und nun müsse man sich auslöschen, bevor es noch schlimmer wird. An Hilfe kann man nicht mehr ernsthaft glauben. Der Mensch, der allen half und immer nur helfen wollte, ist grenzenlos alleine und hilflos.
Doch der Fehler lag nicht bei ihr, der „Fehler“ war nicht sie, nicht ihre Persönlichkeit und Bestrebungen. Sie brannte in wunderbarer, einfühlsamer Leidenschaft für das Wohl der Menschen. Sie wollte sich diese Leidenschaft und ihr Mitgefühl nicht nehmen lassen, in einer Welt, die immer noch nicht verstanden hat, dass wir genau das in großen Mengen brauchen, um die Krisen der Gegenwart und der Zukunft gemeinsam zu meistern. Doch genau das machte man zum Ziel von Dummheit und Hass. Man opferte sie alledem, fast als würde man damit die wütende und gleichgültige Meute besänftigen wollen. Es macht mich traurig, wie wenig wir aus alledem lernen.
Es ist einfach, Menschen, die in Ausübung ihrer Pflicht oder einfach nur weil sie sich simpel und einfach menschlich verhalten und dabei einen gewaltsamen Tod sterben, posthum zu Helden zu stilisieren. Aber noch viel einfacher ist es sie, sie zu vergessen und unsere Fehler, die wir an ihnen begangen haben.

Liebe Lisa! Du bist weder eine Heldin noch eine Revoluzzerin. Du bist einfach nur eine Hausärztin mit großem Herzen, die ihren Job macht, wie er gemacht gehört, nicht nur in den Räumen einer Ordination, sondern auch in den Räumen der Öffentlichkeit. Danke dafür!

 

Mein Gedicht für Dich und Menschen wie Dich

Jeden Tag sterben Menschen
Auf vielerlei Arten
An Hass und dessen Zwillingsschwester, der Gleichgültigkeit:

Menschen, die unsere Helden sein sollten
Nicht weil sie Übermenschliches leisten
Sondern Menschliches

Nicht weil sie bessere Menschen sind
Sondern einfache und mitfühlende Menschen

Wir erinnern uns an sie

Nicht weil sie tot sind
Sondern weil ihr Geist lebt

Nicht weil sie mehr als wir
Sondern nur eine Sache besser wissen:

Für die Vernunft und eine bessere Welt
Darf man nicht aufhören, sich zu bemühen und dafür einzustehen
Auch und gerade, weil andere es nicht mehr tun oder verstehen können.

 

Danksagung

Danke dafür, dass Du nicht lockergelassen hast und Deinen Auftrag als Ärztin auch unter den widrigsten Umständen weiterhin zu erfüllen versucht hast, dass Du auf Deine Patienten zugegangen bist, egal welche Beine man Dir gestellt hat.
Du hast weit mehr geleistet, als man sich erwarten durfte.
Du warst beharrlich und nicht bereit, im Moment der großen Not, zu verstummen.
Du warst bereit alles zu geben.

 

#TeamDrLisaMaria

TDLM2

 

Ihr Hausarzt,

Dr. Werner-Heinz Kállay

Ordinationszeiten

Montag 13.00 - 17.00 
Dienstag 10.00 - 13.00
Mittwoch 15.00 - 19.00
Donnerstag 9.00 - 13.00
Freitag 9.00 - 13.00

Alle Kassen und privat

Termine empfohlen

Kontakt

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Fax: 01/774 62 44 DW 20
@: ordination@kallay.at
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