Donnerstag, 11 Juni 2020

Erinnerungen Ihres Hausarztes an die Corona-Welle 2020

Hier ein paar meiner Gedanken und Erinnerungen, um für Sie diese schweren Maßnahmen, die getroffen wurden, verständlicher zu machen:

Am Sonntag, den 15.3.2020 bekam ich den Anruf, das von jemanden, der mir mittlerweile ans Herz gewachsen ist, sein Vater am Tag zuvor in Wien an Corona verstorben ist. Die Ärzte dachten er hätte die Grippe und erst auf der Intensivstation wurde er auf Corona positiv getestet. Er sollte das erste Todesopfer in Wien werden. An diesem Tag begann für mich die Corona-Krise. Jetzt war es da.

An diesen Tagen waren die Zahlen in Italien ungebremst im Steigen und der große „Lockdown“ sollte auch in Österreich gerade starten. Ich sag es wie es ist, ich wusste an diesem Tag nicht wie es weitergehen würde und musste auch damit rechnen, dass es uns wie Norditalien ergehen könnte. Ich baute auch die Ordination räumlich um, nur um für das Schlimmste gewappnet zu sein. Es gab zwei getrennte Bereiche und eine Schleuse dazwischen.

 

Warum reagierten wir Ärzte so, warum reagierte ich so?

Wir waren nicht vorbereitet. Das Gesundheitssystem war nicht vorbereitet. Niemand war vorbereitet. Ich möchte das anhand eines Beispiels erklären:

Stellen Sie sich vor, eine Katastrophe wie ein großes Erdbeben würde unser Land heimsuchen. Was würde mit dem Gesundheitssystem, den Spitälern und Ärzten passieren? Ein paar Spitäler und Ordinationen würden vielleicht beschädigt werden, ein paar Mitarbeiter des Gesundheitssystems vielleicht versterben. Aber es würde bestehen bleiben, selbst wenn es ans Limit seiner Möglichkeiten käme. Hier war es anders. Wir hatten die Situation, dass sich das Virus auch ungehindert auf das medizinische Personal ausbreiten konnte und es in vielen Ländern auch tat und damit in der Lage war, binnen kürzester Zeit, das gesamte Personal zB eines Spitals zu infizieren. Der Arzt, der Sie im Spital betreute, könnte am nächsten Tag im Bett neben Ihnen im Zimmer liegen. Es bestand die Gefahr, dass das Gesundheitssystem an sich in Gefahr kam. Und was vielleicht noch schlimmer war, das Gesundheitssystem, also alle seine MitarbeiterInnen wurden zu Hauptverbreitern, „Superspreadern“ der Krankheit. Nicht nur, dass wir eben nicht den Erhalt des Gesundheitssystem garantieren konnten - eine bis dato nicht mehr vorstellbare Situation - wir Ärzte wurden auch auf einmal zum Teil des Problems: Menschen steckten sich bei uns an: Spitäler, Ordinationen und Krankenwägen wurden zur Gefahr selbst. Und es gab keine Abhilfe, da essenzielle Dinge fehlten, um die Sicherheit zu garantieren: Konvoys mit Schutzausrüstung steckten an den Grenzen fest. Es gab keinen Plan für eine solche Situation, traurig, aber wahr. Die Regierung versuchte zu beruhigen, indem sie sich an die große Menge an Spitalsbetten und Intensivbetten in Österreichs Spitälern klammerte. Doch eine Seuche kann nicht auf Intensivstationen bezwungen werden, denn eine Intensivstation ist das „letzte Auffangnetz“ oder wenn man so will „die letzte Verteidigungslinie“ des Gesundheitssystems und kommt zu tragen, wenn alles davor nicht helfen oder es verhindern konnte. Seuchen werden durch schnelle Isolierung aller Verdächtigten „besiegt“, nicht durch Ansammlungen auf riesigen Intensivstationen. Doch man wusste noch nicht wie man das alles bewerkstelligen sollte.

Ich denke, es war vernünftig, das alles ernst zu nehmen. Was passiert, wenn man eine Gefahr nicht ernst nimmt bzw. überrascht wird, sehen wir am Beispiel Ischgl oder an dem ersten Opfer in Wien, von dem ich in meinen Eingangszeilen berichtet habe. Wir waren überrascht, unvorbereitet und es durfte oft nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf. Ich könnte es auch drastischer formulieren.

Am 15.3. 2020 wusste ich nicht, was uns in Österreich erwartet. Ich weiß auch nicht, wie man es zu diesem Zeitpunkt hätte wissen können. Auf Basis von was? Auf welche seriösen, eindeutigen, geprüften und großflächigen, globalen Daten hätten Sie damals Ihr Leben verwettet? Ich sage das so klar, weil doch so viele heute meinen, sie hätten schon damals alles besser gewusst. Doch damals waren sie alle natürlich leise und das war vielleicht auch gut so. Und diese Stille vermisse ich heute ein bisschen.

Ich fürchte, ich muss diesen heutigen Tag, den 29.5.2020, als den Tag in meinem Leben festhalten, wo ich das erste Mal das Handeln einer österreichischen Regierung verteidige. Wobei ich mich nicht zur politischen Umsetzung äußern kann, also wie transparent oder rechtlich korrekt alles abgelaufen ist, da hätte man sicher viel besser machen können. Natürlich aus heutiger Sicht, wäre es besser gewesen, die Maßnahmen wären früher gekommen und gezielter und kein komplettes Herunterfahren. Aus heutiger Sicht, wie gesagt. Aber die Regierung hat damals sehr vorsichtig agiert und was hätte man vernünftigerweise sonst tun sollen, mit dem damaligen Wissensstand? Hätten wir wie in Ischgl alles runterspielen und weitermachen sollen, als wäre nichts?

Die sogenannten „Kollateralschäden“, also die vielen Schäden, die durch den „Shut-down“ passiert sind, wären auch nicht zu verhindern gewesen, wenn wir all diese damals erdrückenden Tatsachen nicht hätten akzeptieren wollen und eben irgendwie weitergemacht hätten. Betonung auf „irgendwie“, den viel Klares gab es ja nicht.

Heute verstehen wir das Virus besser und können viel genauer und abgewogener handeln. Doch wir brauchten Zeit, um das Wissen zu gewinnen. Der Preis waren diese sogenannten „Kollateralschäden“, also viele Menschen, die auf einmal alleine zurechtkommen mussten, keine Therapie bekamen und abgewiesen wurden. Das ist ganz und gar nicht gut gelaufen. Ein war ein sehr teurer Preis, doch – wenn man so will – billiger als alles andere, was uns damals zur Auswahl stand. Auch wenn es ungewöhnlich klingt wenn ein Arzt das sagt, es tut mir leid, dass es so kam und ich weiß sehr genau, dass es vielen nicht gut ging damit.

Letztendlich hat jedes Land einen „Shut-down“ mehr oder weniger vollzogen, manche früher, manche später. Die Früheren hatten zumeist deutlich weniger Tote. Und selbst wenn wir alles ignoriert hätten, hätten uns die vielen Kranken und Tote, die es ansonsten gegeben hätte, wenn wir das Virus ignoriert hätten, gezwungen, unser Land runterzufahren. Denn wenn eine wichtige Zulieferfirma einer anderen Firma zusperren muss, weil alle ansteckend oder krank sind oder die Angehörigen zu Hause pflegen müssen, kommt früher oder später auch die zweite Firma zum Erliegen und dann die dritte in der Produktionskette usw. Die Wirtschaft ist nun mal sehr anfällig.

Ich denke nicht, dass wir bloß angstgesteuert reagiert haben oder pessimistisch oder gar fehlinformiert, sondern eben vorsichtig, entsprechend dem, was man sicher wusste und das war nicht viel, außer die Gefährlichkeit des Virus, die auch das Gesundheitssystem selbst bedrohte. Das Virus hat übrigens gute Chancen auf einen traurigen Rekord: Die weltweite Haupttodesursache bei Infektionskrankheiten dieses Jahr zu werden.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären:

Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit Ihrem Göttergatten eine Straße entlang und das Licht fällt aus und es ist dunkel. Er steuert und Sie bestehen darauf, dass er langsamer fahren soll, weil sie beide die Straße nicht kennen, nichts sehen und sie auch in keinem guten Zustand zu sein scheint. Sie fahren also langsam weiter und da sind tatsächlich lauter Schlaglöcher, dass sie fast hängen bleiben und dann hüpft auch noch ein Reh vor die Kühlerhaube, das sie gerade noch rechtzeitig erbremsen können, weil Sie langsam fuhren. Doch dann funktioniert das Licht wieder und auch die Straße wird wieder besser. Ihr Göttergatte gibt Gas und meint äußerst geistreich: „Was regst Du Dich so auf, ist eh nix passiert. Das hätte ich Dir gleich sagen können.“

Dieses Beispiel lässt zwei Interpretationen zu:

  1. Frauen sind gescheiter als Männer.
  2. Dass man nun mal vorsichtig sein muss, wenn man nicht weiterweiß, auch wenn einen das viel kostet.

 

Was lernen wir daraus? Können wir so etwas in Zukunft verhindern?

Nein.

Haben wir viel gelernt?

Ja.

Haben wir genug gelernt?

Nie.

Was ist unverändert geblieben?

Das manche immer alles schon immer gewusst haben und wissen werden und außerdem und sowieso.

Was habe ich daraus gelernt?

Ich denke noch darüber nach und wenn Sie möchten, berichte ich Ihnen davon 😊

 

PS: Der „Lock-Down“ meiner Ordination, also, die Zeit wo ich mich sehr restriktiv gegenüber Ihren Besuchen verhalten habe, wo ich mich komplett eingehüllt hatte in meinem Hornbach-sei-Dank Maleranzug mit Gesichtsvisier von der Baustelle und doppelten Handschuhen, war übrigens ziemlich genau drei Wochen, also relativ kurz. Das ist aber der Vorteil einer kleinen Einheit des Gesundheitssystems, dass man schneller reagieren kann. Sie sehen, ich mache hier Werbung für den „kleinen“ Hausarzt.

Dr. Werner-Heinz Kállay

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